Systemische Führung für die Organisation der Zukunft - Die Vordenker
Der vom Autor mitentwickelte systemische Führungsansatz sieht eine Führungskraft vor allem als Teil eines komplexen Systems, das sich fortwährend verändert. Die Grundlage dieses Ansatzes bilden Erkenntnisse aus verschiedenen Forschungsgebieten. Die systemtheoretisch orientierte Biologie von Humberto R. Maturana trug zum Verständnis der Reproduktionsweise und Erkenntnisform sozialer Systeme bei. Die neuere Systemtheorie von Niklas Luhmann untersuchte das Funktionieren von Organisationssystemen und deren Umweltbeziehungen, ein wichtiger Aspekt der systemischen Führung. Die Kybernetik zweiter Ordnung von Heinz von Foerster brachte Ideen zur Beobachtung und Steuerung sozialer Systeme und die systemische Familientherapie, hier maßgeblich die Beiträge der Mailänder Gruppe um Mara Selvini Palazzoli, lieferte vor allem Strategien und Techniken zur Intervention.[i]
Der systemische Ansatz zeigt Zusammenhänge auf, hinterfragt Abhängigkeiten und lässt Beziehungen nutzbar werden, man sieht nicht nur sich selbst, also einen Teil, sondern das Ganze. Den Kern der Systemtheorie Niklas Luhmanns, ehemals Professor für Soziologie in Bielefeld, bilden die drei Leitdifferenzen „Teil als Ganzes“, „System und Umwelt“ sowie „Identität und Differenz“.[ii]Jedes System wird als Ganzes gesehen und die einzelnen Elemente sind auf charakteristische Weise miteinander vernetzt und verbunden. Das Ganze ist immer mehr als die Summe seiner Teile. Es gibt Eigenschaften des Systems, die auch durch Kenntnis der einzelnen Elemente nicht vorherzusehen sind.Zudemwirdjedes System als Wirklichkeitsbereich eigener Organisation und Struktur von seiner Umwelt abgegrenzt. Es bestehen aber Anpassungs- und Austauschbeziehung mit dieser Umwelt. Geschlossene Systeme heben sich durch Grenzziehung von ihrer Umwelt ab. Diese Grenzziehung konstruiert Identität. Systeme sind nicht direktiv von außen steuerbar. Einflüsse jeglicher Art werden nach der eigenen Gesetzmäßigkeit des Systems, also anhand von Selbstorganisation, der„Autopoiesis“,verarbeitet.
Luhmann schreibt: „Ein soziales System kommt zustande, wann immer ein autopoietischer Kommunikationszusammenhang entsteht und sich durch Einschränkung der geeigneten Kommunikationen gegen eine Umwelt abgrenzt. Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern aus Kommunikation.“[iii]Entscheidend ist hier für mich die Kommunikation. Das Prinzip der Autopoiesis, also der Selbsterschaffung und Selbsterhaltung von Systemen, bedeutet auf ein Unternehmen übertragen, dass es für dessen langfristigen Erfolg nicht auf eine einzelne Führungskraft ankommt, sondern auf die systemimmanenten Kräfte, die durch die Führungskräfte angeregt werden.
Der systemische Ansatz in der Therapie entwickelte sich seit 1971 in Italien. Das erste familientherapeutische Zentrum entstand 1967 in Mailand. Mara Selvini Palazzoli gründete es in Zusammenarbeit mit weiteren Psychologen und Psychoanalytikern. Neu an dieser Form der Therapie war die Einbeziehung der Umwelt des Patienten. Der Therapeut war nun nicht mehr allein auf die subjektiven Äußerungen des Patienten angewiesen, sondern konnte dessen Situation auch aus der Sicht seines Umfeldes erfassen. In der therapeutischen Arbeit wird dann versucht, die Beziehungen der Familienmitglieder untereinander zu beeinflussen und so Traumata zu erkennen, Spannungen abzubauen, die Kommunikation zu verbessern.[iv]
Die Erkenntnisse aus der Hirnforschung der letzten Jahre liefern nun zusätzlich die Bestätigung der Richtigkeit des systemischen Ansatzes, denn sie weisen nun zweifelsfrei nach, dass der Mensch nicht von seiner Vernunft, sondern zuallererst von seinen Gefühlen geleitet wird, wenn er handelt.
Meiner Ansicht nach ist das systemische Führen richtungsweisend für die Organisation der Zukunft. Wo systemisch geführt und zukunftsweisend organisiert wird, entstehen neue positive Wechselwirkungen auf allen Ebenen des Handelns: der unternehmerischen, der zwischenmenschlichen und der persönlichen. Ausgangspunkt ist die persönliche Ebene, denn am Anfang steht die Selbstorganisation, das Bemühen um ein auf ethischer Grundlage organisiertes Selbst. Dazu ist das Wissen um die Macht der Psyche, also den emotionalen Aspekten beim Denken und Handeln, von wesentlicher Bedeutung. Dieses Know-how und seine Verwertung bei der Selbstorganisation führen zu der Art von Autorität und Vorbildcharakter, die Mitarbeiter motiviert, inspiriert und anspornt.
Die wichtigsten Werkzeuge in der systemischen Führung sind die innere Haltung, die einhergeht mit der Fähigkeit zur Selbstreflektion und systemischem Denken, die Kontaktfähigkeit, eine gute Feedbackkultur, die durch Klarheit und Wertschätzung gekennzeichnet ist, die Begabung, die richtigen Fragen zu stellen und dem Gegenüber aktiv zuzuhören. Diese wesentlichen Eigenschaften einer Führungspersönlichkeit werden wir in den folgenden Kapiteln näher beleuchten.
[i]Vgl. Willke, Helmut (2001): Systemisches Wissensmanagement. 2. neubearb. Auflage. UTB Stuttgart.
[ii]Vgl. Neuberger, Oswald (2002): Führen und führen lassen: Ansätze, Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung. 6., völlig neubearb. u. erw. Auflage. UTB Stuttgart.
[iii]Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Suhrkamp Frankfurt am Main.
[iv]Vgl. Selvini, Matteo (1992): Mara Selvinis Revolutionen. Carl Auer Heidelberg.