Die Hydraorganisation: Merkmale für moderne systemische Unternehmen?
Al-Qaida wird in der Literatur in Analogie zur griechischen Mythologie als „Hydra“ bezeichnet. Die unterschiedlich großen Terrorzellen sind lose miteinander verbunden. Jedoch befinden sich alle Gruppen innerhalb eines ideologischen Gefüges und verfolgen somit auch ein gemeinsames Ziel. Selbst wenn man eine Terrorzelle, bzw. einen „Kopf“ der Hydra, vernichtet hat, ist die Terrorgruppe Al-Qaida noch funktionsfähig. Diese Organisationsform gibt Al-Qaida eine dynamische, flexible, und anpassungsfähige Struktur, die es ihr ermöglicht, trotz internationaler Verfolgung terroristische Anschläge auf der ganzen Welt zu verüben.
Obwohl das Taliban-Regime, das Bin Laden und Al-Qaida maßgeblich unterstützt hat, seine Macht in Afghanistan verloren hat, und obwohl die Hälfte aller Führer von Al-Qaida verhaftet oder ermordet worden sind und viele Anschläge bereits im Vorfeld durch die Geheimdienste vereitelt werden konnten, stellt die Hydra Al-Qaida noch immer eine sehr konkrete Bedrohung für die Welt dar und ihr wachsen im Verborgenen ständig neue „Köpfe“.
Dem ersten Anschein nach haben die Organisation der Al-Qaida und die Strukturen der Unternehmen der Zukunft einige Gemeinsamkeiten: Es besteht ein dezentral organisiertes Netzwerk, in dem die Gruppen selbstständig agieren können. Dies bietet ein hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Eine gemeinsame Ideologie, bzw. gemeinsame Werte umspannen dieses Netzwerk und geben den Organisationsmitgliedern ein kollektives Ziel.
Doch da die Gruppen bei Al-Qaida nur lose miteinander verbunden sind, bleiben sie auch ohne Interaktion handlungsfähig. In einem Unternehmen mit moderner Organisationsstruktur arbeiten die Gruppen eines Netzwerkes zwar auch eigenständig an Projekten, sind aber dennoch auf die Kommunikation und dem Informationsaustausch zwischen Organisationseinheiten angewiesen.
Die besondere Fähigkeit der Hydra-Organisation ist, dass sich der Verlust von Zellen nicht negativ auf die Stabilität der Organisation auswirkt. Der Grund liegt in den nur sehr lose miteinander verbundenen und eigenständig agierenden Einheiten. Wollte man diese Fähigkeit in das Organisationsmodell eines Unternehmens implementieren, wäre eine wichtige Voraussetzung, dass die Organisationsmitglieder nicht voneinander abhängig sind und der Verlust von Organisationsteilen kompensiert werden könnte. Dies wäre beispielsweise in einem großen Konzern mit seinen vielen unabhängigen Unternehmen der Fall.
Doch was bedeutet das nun für das Management „führungsloser“ Strukturen? Die wichtigste Erkenntnis ist wohl, dass solche organisch gewachsenen Gruppen sich nicht von oben lenken lassen. Es geht nicht mehr um Anweisungen, sondern um eine Führung im Dialog: „Um derartige Organisationen zu beeinflussen, muss sich das ‚Management‘ effizient in den Diskurs, in die Gespräche der Gruppen integrieren können. Es muss neue Ideen wachsen und sich verbreiten lassen und dabei verschiedene Meinungsführer gezielt beeinflussen.“
Sageman nennt in seinem Buch „Leaderless Jihad“ drei kritische Erfolgsfaktoren: Will man in einem virtuellen sozialen Netzwerk Einfluss gewinnen, muss man sich häufig zu Wort melden, die Beiträge müssen Resonanz auslösen und gemeinsame Werte thematisieren und die Postings müssen einen Mehrwert bringen, sei es die exklusivere Information, die klarere Formulierung einer Idee oder die bessere Argumentation. Wichtige Aspekte, die uns beim Thema Zukunft der Vernetzung noch beschäftigen werden.
Umweltveränderungen haben sowohl bei Al-Qaida, als auch bei Wirtschaftsunternehmen einen Organisationswandel nötig gemacht. Auch wenn es einige Parallelen zwischen der Hydra-Organisation von Al-Qaida und modernen Unternehmensstrukturen gibt, wäre eine Firma, die eine reine Hydra-Organisation ist, nicht lange existenzfähig. Denn kein Unternehmen kann ohne Führung existieren, da es sonst das Risiko eingeht, im Chaos zu versinken. Dies zeigt sich besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.